Immer häufiger kommen Menschen (überwiegend Männer) in meine Praxis zwischen 60 und 68 Jahre. Soweit nichts Neues, aber im Verhältnis zu meinen sonstigen Coaching-Themen wächst die Bitte bei dieser Altersgruppe enorm nach einer Prozessbegleitung beim Einstieg in den Ruhestand.
Erst im letzten Monat erreichten mich zu diesem Thema mehrere Mails - relativ identisch im Inhalt.
Herrn K. lud ich gleich zu einem Erstgespräch ein.
Er nahm Platz, stellte sich kurz vor und kam dann gleich zum Thema (wie man es eben in der Berufswelt gewohnt war: Zeit ist Geld!): „Frau Hiller, ich dachte, jetzt wo ich im Ruhestand bin habe ich endlich Zeit für meine Frau, für meine Kinder, für meine Hobbys und Abenteuer. Ich dachte, alle freuen sich. Klar, es ist eine Umstellung und es wird Veränderungen geben, aber im Job hatte ich schließlich täglich mit Veränderungen zu kämpfen, das wird schon und ich bzw. wir werden es gemeinsam gut meistern!
Und wissen Sie was? Meine Frau freut sich gar nicht so sehr. Sie ist kaum da. Gut, sie arbeitet noch 20 Stunden die Woche, aber danach kommt sie nach Hause. Manchmal ist sie wirklich müde und an anderen Tagen geht sie zum Yoga. Sie trifft sich jeden Donnerstag mit ihrer Walking-Gruppe. Das hat sie früher zwar auch gemacht, aber nun könnten wir ja die Zeit nutzen, um etwas Gemeinsames zu machen, richtig? Schließlich war ich den ganzen Tag daheim.
Unsere Kinder sind seit einigen Jahren aus dem Haus und ja, sie leben ihr eigenes Leben, aber man kann sich doch mal abends treffen? Ist doch so, oder? Ich habe diese Woche schon dreimal meine Tochter angerufen – sie wirkt irgendwie genervt davon. Mein bester Freund hat sich nun in Portugal ein kleines Häuschen gekauft – er geht dort Golfen. Ich kann ja nicht immer runterfliegen, um mit ihm zu golfen. Zeit hätte ich ja, aber das Geld ist nun auch weniger vorhanden.
Und wissen Sie was das Schlimmste ist? Ich habe das Gefühl nutzlos und unsichtbar zu sein. Niemand nimmt mich wahr. Auch meine kleinen Higlights in der Woche, wie mein Golfen, Gartenarbeit und Joggen erfüllen mich ja nicht den ganzen Tag. Und es gibt Tage, da habe ich gar nichts geplant. Schrecklich! Dann stehe ich morgens auf und denke gleich: Was mache ich denn jetzt den ganzen Tag? Der Tag ist total sinnlos! Verstehen Sie mich?“
Ich blicke Ihn an und sage: „Ja, Herr K. ICH verstehe SIE sehr gut? Die Frage ist, verstehen SIE SICH auch? Möchten Sie gerne genau darauf schauen, was es nun für Sie braucht, damit sich Ihre neue Situation für Sie lebenswert und sinnvoll anfühlt?“ Er nickt.
So wie Herrn K. geht es vielen Menschen, die gerade als „Frischlinge“ in den Ruhestand getreten sind.
Menschen, die jahrelang einen Beruf ausgeübt haben, der Ihnen Spaß gemacht und einen Sinn gegeben hat, stehen plötzlich vor der absoluten Ruhe (liegt nah, wenn die neue Lebensphase Ruhestand heisst, oder?). Sie hatten einen Beruf, der ihnen Struktur, der Ihnen Halt gegeben hat. Aufgaben wurden bewältigt, Strategien entwickelt, Maßnahmen gemeinsam ausgebaut....... alles hatte „Spirit“, alles war im Fluss und vor allem ist man morgens aufgestanden und wusste: „Da wartet gleich Arbeit auf mich, die von mir erledigt werden will! Ich werde gebraucht“ Der Tag began mit einem vorgegebenen Takt: Aufstehen, Frühstück, Fahrt ins Büro, Meetings, Mittagspause mit den Kollegen, Heimfahrt und am Ende ein paar schöne Stunden daheim oder bei einem Hobby. Die Zeit war in abwechslungsreiche Kuchenstücke unterteilt und man fühlte sich „wohl ernährt“.
Mit Eintritt in den Ruhestand steht man demnach mit einem „wohlernährten Bäuchlein“ am Tisch des Ruhestands (voller Anerkennung der Kollegen, Sinnhaftigkeit, Unentbehrlichkeit und erfülltem Dasein im Job), setzt sich und wartet auf die „neue Nahrung“. Aber wie der Name schon sagt, man setzt sich an einen Tisch voller Ruhe (zeitlich und im Zweifelsfall auch finanziell, denn die Rente kann das Konto womöglich nicht mehr ganz so sehr bewegen, wie in den beruflichen Jahren.). Niemand organisiert für einen ein Meeting, man befindet sich in keinem „Projektablauf“ und gesehen wird man auch nicht, ausser vielleicht morgens am Frühstückstisch, wenn noch alle Familienmitglieder da sind. Danach verabschieden sich die Lieben und gehen ihren Tätigkeiten nach. Zurück bleibt der Ruheständler am Tisch in seiner eigenen Verfilmung von „Und täglich grüsst das Murmeltier“. Erst jetzt wird ihm klar, der Eintritt in den Ruhestand ist eine WIRKLICH GROSSE VERÄNDERUNG im Leben und ganz und gar nicht einfach zu meistern. Und er wollte vieles in der neuen Lebensphase haben, aber sicherlich keine Langeweile.
Vielleicht schlummern in ihm ein paar Ideen dieser Langeweile zu entkommen, aber irgendwie fehlt ihm der Antrieb – denn für wen bzw. für was? Welchen Sinn haben seine Ideen, wenn er sie mit niemanden teilen kann. Er fühlt sich verloren, einsam und isoliert.
Genau in diesem Moment ist es ratsam, sich Unterstützung zu holen, damit man nicht noch weiter in die Spirale von Antriebs- und Sinnlosigkeit stürzt. Sich einzugestehen, wenn sich jetzt nichts verändert, stumpfe ich mehr und mehr ab, ist ein erster kleiner Schritt in die neue Lebensphase.
Wenn Ihnen selbst die Ideen fehlen, um ihr Glück in der neuen Lebensphase in die Hand nehmen zu können, kann Ihnen eine professionelle Prozessbegleitung, in Form eines Senior-Coachings, helfen wieder ein sinnvolles und zielstrebiges Leben zu führen.
Herr K. ist diesen Schritt gegangen. Die Sitzungen tun Ihm gut und erst in der letzten Woche erzählte er mir, dass er einen Kochkurs mit einem Nachbarn besucht. Zweimal die Woche kocht er jetzt für seine Frau. Sie geniesst es sehr und an diesen Abenden machen sie es sich immer richtig gemütlich und reden über ihre Zukunftspläne.
Als Herr K. die Sitzung verlies, stand er noch kurz in der Tür, drehte sich um und sagte:
„Wissen Sie was Frau Hiller, das Coaching gibt mir nach langer Zeit das Gefühl, dass ich meine Zeit wirklich sinnvoll nutze!“. Er grinste und zwinkerte mir zu.
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